1956 Saurer der Firma Carba Gas


 

Bereits als Kind waren Lastwagen das grösste für mich. Damals waren es noch die amerikanischen Trucks, die mich begeisterten, heute sind es die dicken Eidgenossen aus dem Hause BERNA und SAURER. Nur dank meiner Frau, die mir den Traum, der eines eigenen Sammlerraums erfüllte, schaute ich mich nach einem passenden Gefährt um.

 

Ein Schnauzer musste es sein, ob Berna oder Saurer war nebensächlich. Möglichst ein altes Modell, eines aus der C - Reihe mit der schlanken langen Haube schwebte mir vor. Einen solchen fand ich dann tatsächlich im Internet und ich kaufte ihn kurzerhand. Es war ein Kipper mit Baujahr 1956, hellblau mit schwarzen Kotflügeln (siehe Ahnengalerie).

 

Zur gleichen Zeit teilte mir ein Freund aus der Oldtimerszene mit, dass ein Kollege von ihm einen Saurer zu verkaufen habe. Ein schönes Modell aber er brauche Platz und er sei daher günstig zu haben. Es kam wie es kommen musste und bald schon standen zwei Saurer auf dem Hof. Der Zweite war ebenfalls ein Kipper von 1956 und er war ebenfalls hellblau mit den schwarzen Kotflügeln, jedoch das kleinere N - Modell.

 

Der kleinere, gerade wegen seiner sympathischen Grösse und der Geschichte halber, fand nach Fertigstellung des Stalls den Einzug in die Hall of Fame. Der Saurer war unrestauriert und sehr original belassen. Ein wenig Rost hatte er, jedoch nur oberflächlich. Um ihn als Veteranen einzulösen hätte er jedoch komplett restauriert werden müssen und das kam für mich aus finanziellen und logistischen Gründen nicht in Frage. So stand das Schweizer Urgestein zwei Jahre als „Scheunenfund“ in der Sammlung.

 

An einem Winterabend, ich durchforstete wieder einmal die Verkaufsplattformen im Internet, stiess ich auf einen wunderschönen Saurer mit der Aufschrift Carba an den Türen und „Komprimierte Gase“ an den Seitenwänden. Der gelbe Lastwagen machte einen sehr gepflegten Eindruck und ich wollte mehr über das Fahrzeug wissen. Der Saurer gehörte tatsächlich noch der Firma Carba und diese stellte den Lastwagen für den wohltätigen Zweck; „Jeder Rappen zählt“ für ab einem Franken ins Ricardo. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch am Fertigstellen meines Museums war und weder Zeit noch das nötige Kleingeld für den Lastwagen hatte, wäre ein Kauf einfach nur dumm gewesen. Dennoch packte mich die Neugier und ich bemühte mich um eine Besichtigung des Saurers. Eine Telefondame der Firma Carba verwies mich an den pensionierten Trümpler Hans, der könne mir am besten Auskunft über den Saurer geben. Ich rief diesen Trümpler Hans an, und der ehemalige Gefahrgutverantwortliche der Firma Carba, erklärte sich spontan bereit, mir das geschichtsträchtige Fahrzeug zu zeigen.

 

Anlässlich des 100-jährigen Firmenjubiläums habe sich die Geschäftsleitung um die Auffindung des ehemaligen Firmenlastwagens bemüht. Dies sei Anfang der Neunzigerjahre gewesen. Den Saurer habe man wiedergefunden, jedoch sei er in einem erbärmlichen Zustand gewesen. Das Jubiläum sei vor der Tür gestanden und die damalige Geschäftsleitung der Firma Carba habe weder Kosten noch Aufwand gescheut und den Saurer restaurieren lassen. Es sei ein grossartiger und würdiger Anlass gewesen; der restaurierte Saurer habe eine zentrale Rolle bei dem Jubiläum gespielt. Leider habe es kurz darauf einen Wechsel in der Geschäftsleitung gegeben und die neue Führung sei von dem alten Saurer wenig begeistert gewesen. Für mehr als zwanzig Jahre sei der Lastwagen in einem alten Carba Depot abgestellt worden, wo er lieblos dahinvegetiert habe. Nun wurde der Saurer, ohne die ehemaligen Mitarbeiter, die mit dem Lastwagen zu tun hatten zu informieren, für einen Franken ins Netz gestellt. Es hätte firmenintern Interessenten für das Fahrzeug gehabt, aber so spontan könne keiner den erforderlichen Platz für den Saurer auftreiben.

 

Hans war mit dem, was mit dem Saurer geschah, nicht einverstanden. Dies spürte ich aus seinen Worten. Die Geschichte stimmte mich nachdenklich und auch die zwei Jahrzehnte Standzeit. Wer weiss, was da wieder gemacht werden muss an dem alten Lastwagen, ehe er auf die Strasse kann, waren meine Bedenken. Schmerzlich verfolgte ich mit, wie unzählige Interessenten den Preis des Saurers in die Höhe trieben und ich konnte und durfte nicht mitbieten. Ein Unbekannter ersteigerte den Saurer und ich versuchte das schöne Stück zu vergessen.

 

Neun Monate später fand in Sursee das legendäre Saurer Treffen statt, wo bekannte Lastwagenmarken wie Berna, FBW und eben Saurer von den Besuchern bewundert werden können. Auch ich war dort und bei schönstem Wetter ergötzte ich mich an all den Schönheiten mit Schweizer Hintergrund. Als ich vor der Verpflegungsecke stand und mich umsah, stach mir sofort etwas in die Augen. Rechtsseitig, in der Reihe der aufkolonierten Oldtimerlastwagen, sah ich ein mir bekanntes Gesicht. Das des Carba Saurers. Augenblicklich vergass ich alles andere um mich herum. Als hätte der Lastwagen ein kräftiger Magnet gehabt oder das Antlitz des Saurers würde mich wie die Augen der Medusa hypnotisieren und ich könnte ihrer Schönheit nicht widerstehen, zog es mich schnurstracks zum Carba Saurer.

 

Ich war hin und weg. Die schmale, lange Schnauze mit der verchromten Maske, deren unteres Ende vom Kühlergrill in den Spitz verläuft und zusammen mit der Formangepassten Stossstange einen vollendeten Abschluss bildet, einfach grossartig. Diese drei Elemente; Schnauze, Kühlermaske und Stossstange, ergeben ein so vollkommenes Bild wie ein Kunstobjekt aus der Jugendstilzeit. Dann die Kabine mit dem Stoffdach und der schmalen Frontscheibe. Gerade dieses Stoffdach mit seiner geraden oberen Fensterlinie vermittelt diesen besonderen Ausdruck. Durch diese gerade Fensterlinie wirkt die Frontscheibe insgesamt schmal, was den Saurer beinahe etwas grimmig dreinschauen lässt, ein wenig wie Al-Capones Gangsterlimousine, der 1934er Cadillac. Die unten leicht einwärts verlaufende Kabine, die gerade schlichte Formgebung der Seitenfenster, die schwarzen einladenden Trittbretter, schlicht ein grafisches Meisterwerk. Die Proportionen von diesem Saurer stimmen von allen Seiten betrachtet und man könnte ihn nicht verbessern.

 

Als ich hinter der Frontscheibe ein Verkaufsschild sah, wurde ich ein wenig wütend. Da hat einer den Saurer gekauft, ihn womöglich mit „Blenderarbeit“ billigst strassentauglich gemacht und nun will er das grosse Geld machen. Ohne den Besitzer oder die Umstände seit meiner letzten Besichtigung zu kennen, hatte ich den Verkäufer einfach mal schubladisiert. Zum Glück siegte die Neugier meinerseits wieder und ich fotografierte die Telefonnummer. Ein paar Tage später rief ich den Verkäufer an. Der wird Ohren machen, wenn ich ihn mit Fakten konfrontiere, die ich bereits kenne, dachte ich. Wieder einmal lag ich mit meinen Vermutungen weit daneben. Mein Bild des geldgierigen Händlers musste ich nach einem längeren Telefongespräch mit Herrn Gantenbein umgehend revidieren. Der Besitzer des Carba Saurers war ein Saurer Fan durch und durch; jedoch schlug sein Herz für die letzte Serie der Saurer, der legendären D - Reihe. Unter Oldtimerliebhabern ist man per Du und so erzählte mir Ruedi seine Geschichte. Er habe den Saurer gar nicht kaufen wollen. Am Tag bevor der Saurer im Ricardo abgelaufen sei, habe er diesen rein zufällig entdeckt. Er habe seine Frau gerufen und ihr den Saurer gezeigt, da er vor vielen Jahren mit genau so einem Saurer die Lastwagenprüfung gemacht habe. Sie habe ihn dann angestachelt mit zu bieten. Er habe dann lediglich, und dies ohne gross über mögliche Folgen nachzudenken, den nächsten Erhöhungsschritt gedrückt und das war es auch schon. Er sei dann aus dem Verkaufsportal ausgestiegen und für ihn sei klar gewesen, dass der Saurer noch viel höher steigen werde. Entsprechend erschrocken sei er dann, als er einen Tag später einen Anruf von der Firma Carba Gas erhalten, bei dem man ihm zum Kauf des Saurers gratuliert habe.

 

Gekauft sei gekauft und so habe er den Saurer kurze Zeit später von Bern in die Ostschweiz überführt. Die Bremsen hätten ein wenig geschlagen und die uralten vorderen Pneus hätten sich angefühlt wie Vollgummireifen. Er habe sich daher entschieden, den Saurer umgehend in seine Vertrauensgarage zu bringen. Dort habe man sämtliche Flüssigkeiten gewechselt, die Bremsen rund gedreht und eben, die Vorderreifen gewechselt. Erst dann sei der Saurer in technisch einwandfreiem Zustand dagestanden. Ruedi kumulierte den Kaufpreis mit seinen Investitionen und rundete die beiden Zahlen zu einem fairen Verkaufspreis ab, zu welchem er mir den Saurer offerierte. Schliesslich gehöre dieser Lastwagen irgendwie nach Bern. Nach diesem Telefongespräch war für mich klar, der Saurer wäre grundsätzlich am richtigen Platz gewesen, jedoch am falschen Ort. Es war nun meine Aufgabe, den geografischen Standort des Saurers zu korrigieren und diesen wieder nach Bern zu holen. Meinen blauen Saurer, ebenfalls von 1956, konnte ich erfolgreich im Ricardo verkaufen.

 

Am 18. November begleitete mich ein guter Freund von mir, der Elger Phippu, nach St. Gallen. Im Handgepäck zwei Händlerschilder und einen Batzen Geld. Herr Gantenbein holte uns am Bahnhof ab. Den Carba Saurer hatte er vorgängig für die Besichtigung bereitgestellt, einer ausgiebigen Probefahrt stand somit nichts im Weg. Ruedi sagte, er werde die ersten Meter fahren, um mir das Handling zu erklären. Mitten auf einer schwach befahrenen Hauptstrasse stoppte er dann den Eidgenossen und ich durfte mich hinter das überdimensionale, weisse Lenkrad setzen. Die schwarze Billardkugel auf dem Schalthebel fühlte sich geschmeidig an und der Sitzkomfort war trotz lediglich zwei fix montierten Sitzteilen, einer Bank und einem Rückenteil, ganz ok und die Pedale waren etwas nah am Sitz. Aber Saurerfahren macht richtig Spass musste ich bald einmal feststellen. Es ist Archaisch und fordert den Mann aufs Ganze und dennoch hat es etwas Beruhigendes. Der Saurer ist gutmütig und verzeiht vieles, nur keinen Stress. Alles muss bedacht, mit Ruhe und Geduld geschehen. Etwas „härejufle“ wird mit unschönen Geräuschen und aufdringlichen Vibrationen bestraft. Es gibt Menschen, die bezahlen für Entschleunigungskurse viel Geld oder buchen dafür sogar Ferien! Ein paar Stunden Saurerfahren und man ist geheilt. Meine erste Fahrt in dem Carba Saurer war einfach grossartig. Alles funktionierte, sogar die 8-Tage Omega Uhr. In einer nahegelegenen Beiz wurde der Papierkram erledigt. Per Handschlag wechselten dann ein paar bedruckte Papierscheine gegen ein Stück technisches Kulturgut den Besitzer.

 

Kurz darauf machten wir drei, der Phippu, ich und der Saurer, uns auf die Heimfahrt. Ich bin in meinem Leben schon unzählige spektakuläre Autos gefahren. Vom Vacel-Vega zum Ferrari, vom Lamborghini zu einer originalen AC- Cobra, bis hin zu einem Rolls Royce aus den Zwanzigern. Doch beim besten Willen kann ich mich nicht daran erinnern, jemals bei einer Fahrt mit einem Oldtimer dermassen viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben. Die Menschen auf den Strassen blieben stehen und drehten sich um, als wir an ihnen vorbeifuhren. Bei den älteren Menschen musste unser Auftritt bestimmt Erinnerungen an die guten alten Zeiten geweckt haben. Die Lastwagenfahrer winkten mir wieder zu, eine Geste, die mit dem zunehmenden Verkehr über die Jahre verloren gegangen ist. Sogar ein Rennvelofahrer auf seinem Sportgerät hörte auf mit Pedalen, winkte höflich und streckte den Daumen nach oben, als wir ihn kreuzten. Im Normalfall tauschen sich Rennvelofahrer und Lastwagenfahrer andere Gesten aus, wenn sie aneinandergeraten. Der Saurer begeisterte die Menschen auf der gesamten Überführungsfahrt. Trotz seiner Grösse hat der Saurer einfach ein sympathisches Gesicht. Dazu die liebliche Farbe Gelb und die beiden Kulleraugen vor den schwarzen Kotflügel, all das kumuliert, entlockt aus der breiten Masse doch eher den „Jö-Effekt“ als Ablehnung. Dann der Motor. Es gibt glaube ich keinen schöneren Sound als der eines Saurermotors. Eine Orchestergruppe, bestehend aus sechs Kolben, die in gleichmässigen auf- und abwärts Bewegungen den Takt stampfen und dabei den unverwechselbaren Blues von Arbon spielen. Ich fühlte mich wie in einem alten Heimatfilm – es fehlten nur noch die Stimmen von Roy Black und Conny Franzis, die uns während der Fahrt begleiteten.

 

„Die großen Augenblicke des Lebens kommen von selbst. Es hat keinen Sinn, auf sie zu warten“ 

 

Thornton Wilder